Vom Leben und Überleben – Pressestimmen

Volksstimme Nr. 10/02
Ravensbrück – „Vom Leben und Überleben“ von Gunnar Landsgesell

„Schon am Morgen nach dem 12. März bestand die Welt aus ‚Ariern‘ und ‚Untermenschen’”, erinnert sich Antonia Bruha, Wiener Tschechin und spätere kommunistische Aktivistin. „Es gab da einen Arzt in unserer Straße, der hatte Arbeitslose immer kostenlos behandelt.” Als Bruha am Morgen nach dem 12. März auf die Straße trat, hatte sich gegenüber eine Menschenmenge zusammengerottet. „Am Boden kniete der Arzt, rundherum auch Leute, die er behandelt hatte.” Bruha versuchte zu intervenieren, die Antwort der Leute, die über Nacht zu Nationalsozialisten gereift waren, fiel knapp aus: „Sind Sie auch Jüdin? Dann knien Sie sich dazu.” Bruha hastete zu ihrem Vater. Dass man etwas tun müsse, war ihr in diesem Moment klar geworden.
Unterschiedliche Widerstandsformen
Wie unterschiedlich die Formen des Widerstandes gegen den unmittelbar nach dem Anschluss offen ausgebrochenen Nationalsozialismus sein sollten, zeigt sich in den Erzählungen von sechs Frauen, die Bernadette Dewald und Gerda Klingenböck für ihr „Oral history”-Videoprojekt „Vom Leben und Überleben” interviewt haben. Bruha ging als Kommunistin in den Untergrund und schmuggelte mit dem Rad Zeitungen über die Grenze nach Bratislava und zurück.. Die slowenisch-kärntnerische Bäuerin Helene Irgec wurde dagegen eher in den Widerstand verwickelt, weil sie als Bäuerin in einem Partisanengebiet wohnte. Sie unterstützte Tito-Partisanen mit Kartoffeln und Brot. Regine Chum, Wiener „Halbjüdin” legte in Ausgaben von „Mein Kampf” Flugblätter ihrer kommunistischen Widerstandsgruppe oder schmuggelte Essenspäckchen in eine Schule in der Sperlgasse, wo jüdische Kinder auf ihre Deportation warten mussten. Die „Schuld” der Frauen spiegelt jedenfalls die Beliebigkeit der NS-Strafapparatur wider: Chum war „Mischling”, wie sie selbst die NS-Diktion zitiert, die oberösterreichische Arbeitertochter Aloisia Hofinger machte sich der „Rassenschande” schuldig, weil sie mit einem polnischen Zwangsarbeiter ein uneheliches Kind zeugte, während die Sintezza Rosa Winter als „rassisch minderwertig” verhaftet wurde. Katharina Thaller schließlich war als Zeugin Jehovas „religiös widerständig”. Die sechs Frauen, alle Anfang der 20er Jahre geboren, wurden ins norddeutsche Konzentrationslager Ravensbrück deportiert, das die Nazis ausschließlich für Frauen und Kinder errichtet hatten.Die Erzählungen über Ravensbrück werden in „Vom Leben und Überleben” angesprochen, bleiben aber zumeist knapp. Rosa Winter erinnert sich, wie sie an den Sonntagen marschieren mussten „wie die Soldaten – wer nicht mehr konnte, dem wurde der Hund auf den Körper gehetzt”. Sie erinnert sich, wie ihr nur die couragierte Intervention der Kapo-Frauen ihres Blocks das Leben retteten. Regine Chum erinnert sich daran, wie sie sich weigerte, sich auszuziehen und der Aufseher sie so schlug, dass ihr das Trommelfell platzte.
Die zugelassenen Reflexionsebenen der Erinnerungen sind dabei sehr unterschiedlich. Aloisia Hofinger schafft es bis heute nur, das erlebte Leid zu umschreiben: „Die Zigeunerfrauen haben mir recht gut gefallen, die schönen Haare und die graziösen Bewegungen, die sie hatten.”Die Stärke dieser Passagen und des Filmes liegen darin, dass die Demütigungen selten mehr als gestreift werden. Die Praxis, den Opfern detaillierte Schilderungen ihrer Erniedrigung abzuverlangen (und sie schließlich erneut als Opfer zu exponieren), um das „Ausmaß des Verbrechens” des Nationalsozialismus vor Augen zu führen, wurde vermieden. „Vom Leben und Überleben” fasziniert nicht als Leistungsschau des NS-Terrors am menschlichen Körper, sondern führt weit über die KZ-Erfahrung hinaus in die Kindheit und in das Leben danach, wodurch sich nicht nur ein wunderbarer Einblick in die Persönlichkeit der Erzählerinnen und ihre Sozialisation eröffnet, sondern das „audio-visuelle Archiv der Frauen von Ravensbrück” erst zu greifen beginnt. Denn die Stärke des Videoprojekts liegt in der Perspektive: der Fokus der Erzählung liegt nicht wie häufig auf der Erfahrung im KZ, sondern auf dem Leben der Frauen in einer Gesellschaft, die nur scheinbar über Nacht die Begeisterung für den Nationalsozialismus entwickelte. Es ist eine Erzählung über das Leben mit der „Schande”.So war es vor allem das Leben nach dem Überleben, das den Frauen jene Kraft abverlangte, die sie aufgrund ihrer Erfahrungen entwickelt hatten. Nach der Rückkehr aus dem KZ erlebten viele starke Ablehnung und dadurch eine erneute Stigmatisierung. Der Mantel des Schweigens – als gesellschaftlicher Schutz ganz selbstverständlich über Täter und Kriegsheimkehrer gehüllt – wurde in der Familie zum Ersticken der KZ-Erfahrung verwandt. „Nie hat mich jemand in der Familie gefragt”, erinnert sich Aloisia Hofinger, „ich habe die ganze Schuld auf mich genommen, habe mich als Verbrecherin gefühlt”. Für Hofinger war es schon Glück, dass der Ehemann ihr nie einen Vorwurf machte. Und als ihre Kinder das Gespräch über ihre Internierung suchten, blockte sie ab, konnte nicht mehr als in Ansätzen erzählen.
Gesellschaftlich geächtet
Es ist der schnelle Wechsel zwischen den Erzählerinnen, der die Geschichte wie zu einer einzigen aus unterschiedlichen Perspektiven macht. Vor allem arbeitet er die verschiedenen Persönlichkeiten und ihre Strategien der Erinnerung, der Verarbeitung, des Widerstandes und der Bewältigung heraus. Routiniert durch viele Auftritte als Zeitzeugin spricht Chum; eloquent wirkt Bruha, die 1947 als Pionierprojekt die „Ravensbrückerinnen” mitgegründet hat; Rosa Winter bleibt äußerlich kühl, wenn sie von Leni Riefenstahl erzählt, die Anfang der 40er Jahre im Lager Maxglan auftauchte, um sich „physiognomisch typische Zigeunerkinder” für ihre Produktion „Tiefland” auszusuchen. „Dann hat sie mich halt ausgesucht”, sagt Winter. Und später, für die Dreharbeiten nach Mittenwald in Deutschland gebracht, als sie erfuhr, dass ihre Familie weggebracht werden sollte: „Dann bin ich halt davongelaufen.” 1941 wurde sie ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert. Gesellschaftlich geächtet blieben die Frauen noch lange. „Ich wurde als Untermensch im Dorf beschimpft, auf den Ämtern saßen weiterhin die alten Nazis, die einen degradierten” erinnert sich die slowenisch-kärntnerische Bäuerin Helene Igerc an den bruchlosen Übergang vom Deutschen Reich zur Republik. Selbst im Wiederaufbau, als dringend Arbeitskräfte gesucht wurden, wusste Regine Chum: „Wenn die Leute hörten: KZ, eingesperrt, Jud‘, dann war es schon aus.” Oder wie Igerc feststellte: „Das war mehrere Jahre noch ein diktatorisches Regime.”Der Schrecken des Filmes liegt aber zu einem Gutteil in dem, was den ehemaligen KZ-Insassinnen bis heute nicht/widerfahren ist. Aloisia Hofinger wartet noch heute auf eine Entschädigung für die geleistete Zwangsarbeit bei Siemens & Halske bzw. für die gesundheitlichen Schäden, die sie beim Versprühen von Chemikalien erlitt – in Ravensbrück. Und die Zeitzeugin Regine Chum, die seit vielen Jahre durch Schulen tourt, erkennt immer noch die alten Denkmuster: „Da hat jemand in der Straßenbahn meine Nummer gesehen und mich gefragt: Warum fahren Sie nicht nach Hause?” Chum: „Bis heute haben Juden, Roma und Sinti bei manchen Leuten keine Nationalität.” Eine Logik, die auch der Staat noch jahrzehntelang vertrat: Rosa Winter lebte lange Zeit von der Sozialhilfe. Rente erhielt sie keine, weil ihr bis 1991 (!) die österreichische Staatsbürgerschaft verwehrt wurde. Danach sprach man ihr eine Opferrente zu.


An.schläge, März 2002
(Über)leben?
Nach der sozialwissenschaftlichen Studie ”Vom Leben und Überleben. Wege nach Ravensbrück, gibt es nun einen darauf aufbauenden Dokumentarfilm von Bernadette Dewald und Gerda Klingenböck. Den Film vorab gesehen hat Eva Steinheimer

”Und da haben wir dort alle versprochen, und irgendwie ein Gelöbnis abgelegt, so lange wir reden können, werden wir reden oder schreien, der Jugend oder den Überlebenden: Sie sollen alle in Frieden miteinander leben, im Frieden und in Liebe, und nicht im Hass gegeneinander. Das war unser Ziel, alle die wir noch lebendig aus dieser Erdenhälle heraus gekommen sind und überlebt haben„, so beschreibt die heute 78-jährige Slowenin Helene Igerc die Stimmung nach der Befreiung des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück durch die Briten. Helga Amesberger und Brigitte Halbmayr vom Institut für Konfliktforschung in Wien interviewten insgesamt 42 österreichische Überlebende des KZs für die sozialwissenschaftliche Studie ”Vom Leben und Überleben. Wege nach Ravensbrück„. 34 dieser Interviews wurden für das Video(archiv)-projekt Ravensbrückerinnen auch gefilmt.
Gleich und Ungleich.
Aufbauend auf diesem Projekt realisierten Bernadette Dewald (Videokünstlerin) und Gerda Klingenböck (Historikerin) schließlich einen zweistündigen Dokumentarfilm mit Erzählungen von sechs Frauen. ”Wir wollten das Archiv vorstellen, die breite Vielfalt in einer komprimierten Fassung zeigen. Und natürlich auch eine breitere Öffentlichkeit erreichen„, erklärt Bernadette Dewald die Motivation für das Filmprojekt.
Die sechs Frauen, die zu Wort kommen, repräsentieren die sechs Hauptgruppen der vom Nationalsozialismus Verfolgten und Inhaftierten: Antonia Bruha, Widerstandskämpferin und Angehörige der Minderheit der Wiener TschechInnen; Regine Chum, Widerstandskämpferin und als Halbjüdin rassistisch verfolgt; Katharina Thaller, Zeugin Jehovas; Aloisia Hofinger, hatte eine Beziehung zu einem polnischen Zwangsarbeiter; Rosa Winter, Sintezza und Helene Igerc, slowenische Bäuerin. Die sechs Frauen haben als einzige Gemeinsamkeit die Verfolgung durch die Nazis, ansonsten sind sie in Sprache, Herkunft aber auch im Umgang mit dem Erlebten sehr unterschiedlich.
Bernadette Dewald beschreibt die schwierige Aufgabe, aus 34 Befragten sechs für den Film auszuwählen, so: ”Wir wollten jeweils eine für jede der sechs Hauptgruppen, Jüdinnen, politische Häftlinge usw. Dann haben wir mit den Wissenschafterinnen der Studie gemeinsam geschaut: Welche gibt es; und dann die ausgesucht, wo sehr viele Aspekte vereint sind.„ Diese Vielfalt ist auch gelungen und neu im Vergleich zu anderen Dokumentarfilmen, die sich oft auf eine Gruppe von Verfolgten konzentrieren.
Purismus.
Stilistisch baut der Film einzig und allein auf die Interviewpassagen; es gibt keine SprecherInnentexte, keine Aufnahmen der häuslichen Umgebung, keinerlei historische Filmdokumente. Trotzdem wird der informationsgeladene Film auf 120 Minuten nie langatmig oder langweilig. Leider bleiben aber trotz der Länge einige Fragen offen. Manche Lücken in den Schilderungen der Lebensgeschichten füllen sich bis zum Ende nicht und lassen frau etwas unbefriedigt zurück. Trotzdem überzeugt die Art, wie weder sensationslüstern noch sentimental die Erinnerung in den Mittelpunkt gerückt wird.
Leben davor und danach.
Spannend ist auch, dass der Film versucht, einen Bogen über das ganze Leben der Betroffenen zu spannen. Sie beginnen, von ihrer Herkunft und Kindheit zu erzählen. Dann folgen Aufstieg des Nationalsozialismus, Verfolgung, Verhaftung und die Zeit im KZ. Der Film endet aber nicht mit der Befreiung oder der Heimkehr der Frauen, sondern widmet sich auch dem Wiedereinleben in die Gesellschaft und dem Leben bis in die Gegenwart. Über all diese Lebensphasen haben die sechs Frauen Details zu berichten, die selbst interessierte und über den Nationalsozialismus gut informierte Zuschauerinnen erschauern lassen: Schilderungen von Folter, Hunde, die Häftlinge zerfleischen, Drohungen, die Kinder der Frauen zu täten, Zwangsprostitution, im KZ geborene Säuglinge, die von den AufseherInnen erst gar nicht getötet werden, weil man sie auch einfach verhungern lassen kann. Gleichzeitig wird auch deutlich, dass die Inhaftierten eine sehr inhomogene Gruppe waren, die im ständigen Spannungsfeld zwischen Solidarität und einer Häftlingshierarchie stand, in der politische Gefangene ”besser„ behandelt wurden als rassisch Verfolgte.Aber auch die Rückkehr nach Hause stellte kein Ende der Diskriminierung dar. Die Frauen kehrten zurück in eine Gesellschaft, in der immer noch dieselben Vorurteile vorherrschten. Es war nicht leicht, über das Geschehene zu berichten. Das eingangs erwähnte Gelöbnis war schwer zu erfüllen in einem Land, in dessen Schulen die Altnazis noch lange zu verhindern wussten, dass die ”ganze Wahrheit„ unterrichtet wurde. Regine Chum, eine Interviewte, berichtet, wie sie erst vor kurzem in der Straßenbahn angepöbelt wurde, als jemand ihre eintätowierte KZ-Häftlingsnummer entdeckte. Und das in einer Zeit, in der die Stimmen immer lauter werden, die behaupten, das alles müsse doch endlich verarbeitet sein und vergessen werden. Gerade deshalb ist ein Film mit den letzten Zeitzeuginnen so wichtig.

Auf grausame Weise bestätigt somit die politische Praxis Aktualität und Brisanz des Themas. GELD WURDE NUN BEI VIELEN KLEINEN FÖRDERSTELLEN, ETWA DEN FRAUENBÜROS DER LÄNDER, ANGESUCHT, WAS FÜR DEN BEDARF VON ÜBER 200 STUNDEN FILMMATERIAL EINEN AUFWENDIGEN PR- UND VERWALTUNGSAUFWAND NACH SICH ZOG: DAS PROJEKT WAR FROH, DIE UNTERSTÜTZUNG VON BARBARA HUEMER ZU HABEN, DIE DIE FINANZIELLE ORGANISATION ÜBERNAHM.
Ein Archiv auf der Suche nach einem geeigneten Ort …
Derzeit lagert das Filmmaterial in den Räumen der Austria FilmCoop, die dem Projektteam auch wichtige Geräte zur Verfügung stellte. Nun wartet die Videodokumentation darauf, einen geeigneten Ort zu finden, an dem sie auch genutzt wird. Am liebsten wären den ”Ravensbrückerinnen„ und ihren ”jungen Assistentinnen„ zeitgeschichtliche Erinnerungsstätten wie beispielsweise das Holocaust-Memorial. In Zusammenarbeit mit Dokumentationszentren, Gedenkstätten, Archiven und Instituten soll weitere Forschung und Vermittlung angeregt werden.
”Vom Leben und Überleben„ wird im Rahmen der DIAGONALE 2003, dem Festival des Österreichischen Films, in Graz (24. bis 30. März 2003) aufgeführt werden.
Herzlichen Dank für das spannende Gespräch an Gerda Klingenböck!
Bernadette Dewald, Gerda Klingenböck / VideoArchiv Ravensbrück


STICHWORT-Newsletter 15/2003: Das Erbe der ”Ravensbrückerinnen – Wie das Videoarchiv Ravensbrück entstand; von Angelika Zach

Europa 1939
Ab 1939 werden Frauen und Kinder aus ganz Europa in das 80 Kilometer nördlich von Berlin gelegene nationalsozialistische Frauenkonzentrationslager Ravensbrück verschleppt:Widerstandskämpferinnen | Partisaninnen | Bibelforscherinnen | Jüdinnen | Roma | Sinti | Frauen, denen vorgeworfen wird, einen Zwangsarbeiter zu lieben | Heimkinder | Frauen, die âFeindsenderÔ gehört haben | Frauen, die einem Kriegsgefangenen Brot zugesteckt haben | Frauen, die sich im falschen Moment ein deutliches Wort gegen die Nazis erlaubt haben | Frauen, in deren Familien jemand politisch aktiv ist | Intellektuelle | Prostituierte | die Frauen aus Lidice und Warschau | Rotarmistinnen | Zivilbevölkerung aus den von der Wehrmacht besetzten Gebieten … Frauen aus über 20 Nationen, Prominente wie Rosa Jochmann, Käthe Leichter, Margarete Buber-Neumann, Milena Jesenska, Olga Benario-Prestes und unzählige Unbekannte, deren Namen später nicht mehr ermittelbar sein werden, weil die Nazis kurz vor der Befreiung durch die Alliierten fast alle Unterlagen vernichten. Zwischen Mai 1939 und Ende April 1945 werden über 132.000 Menschen in das KZ Ravensbrück eingeliefert. Über 92.000 Menschen — vorwiegend Frauen und Kinder — werden dort umgebracht, darunter hunderte Österreicherinnen.
Österreich 1947
1947 gründen Überlebende des KZ Ravensbrück die österreichische Lagergemeinschaft Ravensbrück. Neben solidarischer Unterstützung der ehemaligen Häftlinge in vielen praktischen Alltagsfragen und politischer Interessenvertretung widmet sich die Lagergemeinschaft der Aufklärungsarbeit gegen Rechtsextremismus und Faschismus. Bis heute arbeiten die „Ravensbrückerinnen” mit Ausstellungen, Publikationen, Schulbesuchen als Zeitzeuginnen und der Organisation von Veranstaltungen daran, die Erinnerung an den Nationalsozialismus wach zu halten, zu seiner Erforschung beizutragen und faschistische Tendenzen in der Gegenwart zu bekämpfen. Dabei gehen maßgebliche Impulse betreffend die wissenschaftliche Erforschung der Rolle von Frauen im Widerstand und in den Konzentrationslagern von den „Ravensbrückerinnen” aus. In den neunziger Jahren beginnt die Lagergemeinschaft ganz gezielt auch junge Frauen aufzunehmen, die die Arbeit der Älter und gebrechlich werdenden ehemaligen Häftlinge zu unterstützen bereit sind.
Wien 1995: Junge Frauen zur Verstärkung dringend erwünscht!
Anlässlich einer Gedenkveranstaltung und Buchpräsentation zum 50. Jahrestag der Befreiung des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück lernen einander die Frauen der österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück und die beiden Sozialwissenschafterinnen Helga Amesberger (Jahrgang 1965) und Brigitte Halbmayr (Jahrgang 1960) kennen. Die Frauen der Lagergemeinschaft äußern den Wunsch, gemeinsam mit jüngeren Frauen etwas gegen den politischen Rechtsruck in Österreich zu unternehmen und ihre Erinnerungen an die nationalsozialistische Verfolgung vor dem Vergessen zu bewahren.
Aus diesem Kontakt entsteht neben einigen Veranstaltungen und einer Wanderausstellung („Wege nach Ravensbrück” 1999 — siehe http://ravensbrueck.action.at) nicht nur ein zweijähriges Forschungsprojekt mit dem Titel „Lebenserinnerungen” (1998–1999), in dessen Rahmen mittels biographisch-narrativer Interviews die Lebensgeschichten von 42 ehemaligen österreichischen Häftlingen des KZ Ravensbrück dokumentiert werden, und darauf basierend die bekannte zweibändige Studie „Vom Leben und Überleben — Wege nach Ravensbrück” (Promedia 2001), sondern auch das „Videoarchivprojekt Ravensbrückerinnen”. Gut zwei Drittel der Interviews werden auf Video aufgezeichnet: Ein audiovisuelles Archiv soll der Nachwelt die Lebensgeschichten der aus den verschiedensten Gründen deportierten Frauen überliefern und vermitteln. Die Kameraführung bei den Interviews übernehmen abwechselnd Gerda Klingenböck, Bernadette Dewald, Tina Leisch und Gundula Daxecker.
„Die haben uns geholt!”
Die Künstlerin Gerda Klingenböck (Jahrgang 1968), die im Verein der Lagergemeinschaft Ravensbrück engagiert ist, ist eine der jungen Frauen, die die „RavensbrŸckerinnen” während der letzten Jahre zu ihrer Verstärkung gewonnen und verpflichtet haben: „Die haben uns geholt! Und das, was sie von uns wollten, dazu haben wir uns sehr bald verpflichtet gefühlt, obwohl das eine große Verantwortung für uns bedeutet — vielleicht eine zu große. Aber der Appell war sehr dringend: Helft uns dabei, unsere Arbeit fortzusetzen, und tragt unser ”Erbe„ weiter, wenn wir einmal nicht mehr sind!”
Dieses Vermächtnis weiterzutragen, ist eine Aufgabe, die die Zeitzeuginnen zwar auf sehr persönliche Weise den jungen Mitgliedern des Vereins der Lagergemeinschaft übertragen haben, abstrahiert auf eine gesamtgesellschaftliche Ebene handelt es sich dabei jedoch um den Aufruf an nachfolgende Generationen, (Alltags-)Faschismen und Gewalt(-tendenzen) wirksam zu begegnen. Gerda Klingenböck: „Natürlich fühlen wir uns nach diesem ganz persönlichen Appell dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die gesammelten Lebensberichte der Zeitzeuginnen nicht vergessen werden, dass sie in das kulturelle Gedächtnis eingegliedert werden. Das ist allerdings ein sehr hoher Anspruch, denn es ist einer, den eigentlich schon die Nachkriegsgesellschaft hätte erfüllen müssen und den die Gesellschaft jetzt angesichts des baldigen Ablebens der letzten Zeitzeuginnen erfällen müsste. Zeitgeschichte wird als Kriegsgeschichte aber stark von männlichen heldischen Narrationen bestimmt, Frauen und ihre Verfolgungsgeschichte(n) werden marginalisiert, besonders wenn sie Randgruppen angehören. Jetzt ist die Zeit, wo entschieden wird, wie in der Zukunft erinnert wird. Wir hoffen, dass nicht wieder die Frauen vergessen werden – diese Frauen!”
„Manchmal tret ich einen Schritt zurück und denk mir:Komisch, in was ich da hineingeraten bin-”
erzählt Gerda Klingenböck nachdenklich. Die Beziehung zwischen den jungen und den alten Frauen der Lagergemeinschaft Ravensbrück bezeichnet sie — fernab des für die Frauenbewegung der 1980er Jahre charakteristischen Zugangs zum Thema via „Identifikation mit den Opfern” — als eine Art Mutter-Tochter-Beziehung mit allen positiven und negativen Konsequenzen und Ambivalenzen. Das „Erbe der Ravensbrückerinnen” angetreten zu haben, ist keine leichte Aufgabe, aber sie bleibt dabei und engagiert sich weiter. Auf meine Frage, was sie an den Zeitzeuginnen besonders anspricht, meint sie: „Das sind schon klasse Frauen, -supercoole Frauen!” möchte frau herausplatzen. Wie die sich mit Themen auseinandersetzen, mit den Menschen, die auf sie zukommen, oder wie sie ihre unvermeidlichen Zigaretten rauchen und dabei untereinander Tagespolitik diskutieren — wir haben viel von ihnen gelernt.„
Mehr als 200 Stunden Zeitzeuginnenschaft
Innerhalb von zwei Jahren hat das Frauenteam des Videoarchivprojekts Ravensbrück 34 mehrstündige Interviews (Über 200 Stunden Zeitzeuginnenschaft) von Überlebenden des KZ Ravensbrück gesammelt. Neben dem Videoarchiv ist im Jahr 2002 auch die 110-minŸtige Filmdokumentation ”Vom Leben und Überleben„ entstanden, die die Erzählungen von sechs dieser Zeitzeuginnen umfasst. Bei der Auswahl der 6 Frauen wurde besonders darauf geachtet, einen Querschnitt herzustellen, der die Vielfalt der Frauenleben und der Deportationsursachen repräsentiert. Antonia Bruha, Widerstandskämpferin und Wiener Tschechin; Regine Chum, Widerstandskämpferin und als sogenannte ”Halbjüdin„ rassistisch verfolgt; Katharina Thaller, Zeugin Jehovas; Aloisia Hofinger, sie hatte eine Beziehung zu einem polnischen Zwangsarbeiter; Rosa Winter, Sintezza und Helene Igerc, slowenische Bäuerin. Dass die Gruppe der sogenannten ”Asozialen„ und auch die Gruppe der lesbischen Frauen im Videoarchiv nicht vertreten sind, empfindet das Projektteam als Lücke, deren Füllung die Quellenlage leider nicht zuließ.
Aus der Filmbeschreibung
Der Film ”Vom Leben und Überleben„ grenzt sich durch stilistische Zurückhaltung bzw. formale Stringenz von den meisten Repräsentationsformen zum Thema Nationalsozialismus ab: keine SprecherInnentexte, keine experimentellen Symbolstrecken, keine Musik oder Verweise auf eigene Befindlichkeiten. Die Erinnerung, das Sprechen selbst stehen im Mittelpunkt. Durch die Montage der einzelnen Interviewteile entsteht eine kollektive Erzählung, die auch Brüche und Widersprüche zulässt. Die Erzählung der Frauenbiographien macht nicht wie in den meisten Filmen zum Thema Nationalsozialismus nach der Befreiung halt: Es folgen das Chaos der kommenden Jahre, die Heimkehr unter absurdesten Bedingungen und die enttäuschten Erwartungen, die nicht erfolgte Reintegration und die Diskriminierung in der Nachkriegsgesellschaft, mutiges gesellschaftspolitisches Engagement und Gebrochenheit, das Weiterleben mit Ambivalenzen und schließlich die Gegenwart als Ausgangspunkt der Begegnung.
Brisanz des Themas durch politische Praxis bestätigt
Das Videoarchivprojekt Ravensbrück fand als Low-Budget-Projekt unter dem Druck chronischen finanziellen Mangels statt. Nicht nur mit der Tatsache, dass seitens der Wissenschaftsförderungsstellen keine Gelder für Filmproduktionen bereitstanden, hatte das Projektteam zu kämpfen, sondern auch mit dem Unverständnis der Filmförderungsstellen. In Diskussionen wurde das Gefähl vermittelt, das Thema wäre veraltet, andere Sichtweisen als die der ZeitzeugInnen — etwa der Blick auf die TäterInnen — wären viel interessanter. Das Faktum, dass es sich um Lebensgeschichten von Frauen handelt, ließ die Sache noch obsoleter erscheinen und in ein exotisches Ghetto rücken.


oe1.orf.at
„Vom Leben und Überleben”Gesprochene Erinnerung;
von Arnold Schnötzinger
Antonia Bruha galt als Widerstandskämpferin, Regine Chum war Jüdin, Rosa Winter Angehörige der Roma und Sinti, Katharina Thaller engagierte sich bei den Zeugen Jehovas. Der Familie der Kärntner-slowenischen Bäuerin Helene Igerc wurde die Kooperation mit Partisanen vorgeworfen, der oberösterreichischen Bauernmagd Aloisia Hofinger ihre Liebe zu einem polnischen Zwangsarbeiter.So vielfältig die Herkunft und die Motive für die Deportierung österreichischer Frauen in das KZ Ravensbrück waren, so willkürlich war die Auswahl. Vereint waren diese Frauen nicht zuletzt durch den Zweck ihrer Deportation: die Zwangsarbeit in den Rüstungsbetrieben rund um Ravensbrück.
„Große Bandbreite von Schicksalen“.
Grundlage für den nunmehrigen Film „Vom Leben und Überleben“ bildet das Videoarchiv Ravensbrück, das 34 von den beiden Wissenschaftlerinnen Brigitte Halbmayr und Helga Amesberger geführte Interviews mit Zeitzeuginnen umfasst.Aus den rund 200 Stunden Material haben die beiden Regisseurinnen Gerda Klingenböck und Bernadette Dewald für ihren nunmehrigen Film sechs Einzelschicksale ausgesucht. Die Auswahl war schwierig, wie Gerda Klingenböck erklärt: „Wichtig war uns eine große Bandbreite von Schicksalen zu zeigen, also nicht nur Frauen im Widerstand, sondern weniger typische Opfer des Nationalsozialismus.
„Brücke zur Gegenwart.
Klingenböck und Dewald haben sich nicht nur auf die Erlebnisse im 80 Kilometer nördlich von Berlin gelegenen Konzentrationslager Ravensbrück selbst konzentriert, sondern auch auf das Leben davor und danach. So entsteht in dieser Art der „Oral History“ ein umfassender biografischer Eindruck der jeweiligen Persönlichkeit.Zudem schlägt der Film eine Brücke zur Gegenwart, in der die Diskriminierung von Minderheiten in Österreich im Alltag spürbar ist, wie die Jüdin Regine Chum im Film erzählt: Durch ihre ehemalige KZ-Nummer am Arm wurde sie noch vor wenigen Jahren in der Straßenbahn als Jüdin erkannt und gefragt, warum sie nicht „nach Hause fahre“. Gemeint war Israel.
Spartanische Form
Formal reihen Gerda Klingenböck und Bernadette Dewald Interview-Auszüge nach vorgegebenen Themen aneinander und verzichten gänzlich auf Kommentare oder zusätzliches Bild- bzw. Tonmaterial. Man wollte Repräsentationsformen, wie man sie aus einschlägigen Holocaust-Dokumentationen kennt, bewusst vermeiden.“ Sicherlich ist die Konzentration auf das Sprechen und Hören ein nicht ganz leichter Zugang, aber André Hellers Film über Traudl Junge hat uns gezeigt, dass diese Form sehr wohl funktioniert“, meint Bernadette Dewald. Nicht zuletzt aufgrund der reduzierten Zugangsweise bleiben auch übermäßige Rührseligkeiten und – wie oft im Genre der Holocaust-Filme übliche – emotional-spekulative Momente vor der Kamera aus.
Was passiert mit dem Videoarchiv Ravensbrück?
Trotz des umfangreichen Videomaterials denken die beiden Filmemacherinnen derzeit an keine weitere filmische Bearbeitung. Für das Videoarchiv Ravensbrück wird allerdings eine Institution gesucht, die die künftige Archivierung und Betreuung übernehmen könnte. Der Zugang der Öffentlichkeit sollte dabei in jedem Fall gewährt sein.

Kurier, 22.1.2004
Vom Leben und Überleben von A. Seibel

Auf den ersten Blick haben die sechs Frauen nichts gemeinsam. Die eine ist Zeugin Jehovas, die andere so genannte „Halbjüdin“, die dritte eine Wiener Tschechin. Was sie verbindet, ist ihr Schicksal während der NS-Diktatur: Verhaftung, Verschleppung, Folterung und zuletzt Internierung im Frauen-KZ Ravensbrück. Sechs Frauen, die Ravensbrück überlebt haben, erzählen aus ihrem Leben, erinnern sich an eine Jugend zwischen Verhaftung, KZ und an jene Zeit, als sie sich nach ihrer Rückkehr nach Österreich in gehässiger Umgebung wiederfanden. Ein unglaublich berührendes, trauriges, aber auch kraftvolles Dokument Zeitgeschichte.


Falter, 23.1.2004
Vom Leben und Überleben

„Von weitem sehen wir schon dieses neue Zuhause“, erzählt die Frau mit dem blauen Kopftuch. „Über der Toreinfahrt steht „Arbeit macht frei’.“ Das „Zuhause“, von dem Helene Igerc spricht, ist das Konzentrationslager Ravensbrück. Die slowenische Bäuerin, die man wegen vermuteter Kollaboration mit einer Partisanengruppe verhaftete, ist eine von sechs Frauen, die sich in Bernadette Dewalds und Gerda Klingenböcks Dokumentation „Vom Leben und Überleben“ an ihre Zeit in der „Erdenhölle“ erinnern. Die ursprünglich als Archivprojekt angelegte Arbeit ist in jeder Hinsicht puristisch: Eine starre Kamera bleibt während der Interviews auf den Protagonistinnen, widersteht, selbst wenn diese deuten -, „dort, das Foto an der Wand“ – der Versuchung hinüberzuschwenken. Bebilderungsversuche gibt es schließlich genug. Nach „Im Toten Winkel“ (Heller/Schmiderer) und „Das wirst du nie verstehen“ (Anja Salomonowitz) ist „Vom Leben und Überleben“ ein weiterer wichtiger Beitrag zu einer weiblichen Geschichtsschreibung, die über eine sehr persönliche, stimmungssensible und detailgenaue Sichtweise von Zeitzeuginnen den männlichen Diskurs aus den Angeln hebt.


Der Standard, 24.1.2004
„Darüber reden, ‘solange wir leben‘. ”Die Videodokumentation „Vom Leben und Überleben im Filmcasino“; Von Isabella Reicher.

Am Ende steht die „Heimkehr“: Noch vor nicht allzu langer Zeit habe sie in der Straßenbahn ein Fahrgast, der ihre Lagernummer gesehen hatte, gefragt, warum sie nicht nach Hause fahre, sagt Regine Chum. Zu Hause ist sie in Wien, eben dort 1923 geboren als Tochter eines österreichisch-jüdischen Ehepaares, in den 40er Jahren schloss sie sich einer Widerstandsgruppe an, 1944 wurde sie zunächst nach Auschwitz-Birkenau und dann weiter nach Ravensbrück deportiert. Ihre Geschichte ist eine von sechs, die jetzt im Kino Vom Leben und Überleben erzählen. Die Videodokumentation ist als Teil eines größeren Projekts entstanden: Für ihre wissenschaftliche Studie gleichen Titels führten Brigitte Halbmayr und Helga Amesberger vom Institut für Konfliktforschung ausführliche Interviews mit Überlebenden des Konzentrationslagers Ravensbrück. Aus diesen insgesamt mehr als 200 Stunden „Oral History“ wählten Bernadette Dewald und Gerda Klingenböck Erzählungen von sechs Frauen aus, die nun im Film ihr Leben schildern. Dabei setzt sofort die Differenzierung ein: Regine Chum, Antonia Bruha, Katharina Thaller, Aloisia Hofinger, Rosa Winter und Helene Igerc wurden aus ganz unterschiedlichen Gründen nach Ravensbrück verbracht – als Widerstandskämpferinnen, aus rassistischen Gründen oder wegen der Beziehung zu einem polnischen Zwangsarbeiter. Vom Leben und Überleben bleibt formal ganz auf seine Protagonistinnen konzentriert. Konzentriert durchgehalten wird dabei der Verzicht auf jegliche Illustrierung des Gesagten, auch der jeweilige Umraum bleibt weitgehend ausgespart. Das Konzept wird allerdings durch die unterschiedliche Kameraführung und Kadrage auch wieder aufgeweicht. Das Bild bleibt dem Sprechen (und dem Archivgedanken) untergeordnet. Was sich also vor allem einprägt, sind die Frauen und ihre Rede, der Klang ihrer Stimmen, und der je eigne Tonfall – wo es schließlich auch um die Erfahrung des „Nicht-darüber-reden-Könnens“ und und des „solange wir leben, werden wir reden“ geht.

Jetzt im Kino. 25. 1. Matinee mit den Filmemacherinnen, Protagonistinnen und Frauen der Lagergemeinschaft Ravensbrück, Filmcasino, 5., Margarethenstrasse 78, 12:00.


Die Presse, 26.1.2004
„Erinnerungen an das nackte Überleben”„Vom Leben und Überleben“. Biografien überlebender Frauen des KZ Ravensbrück von Georg Wasner

Ein Forschungsprojekt von Helga Amesberger und Brigitte Halbmayr, das sich mit dem nördlich von Berlin gelegenen Konzentrationslager Ravensbrück befasste, förderte zu Tage, dass es in Österreich noch etwa 100 Frauen gibt, die diesen auf die Ermordung von Frauen und Kindern „spezialisierten“ Teil des gigantischen nationalsozialistischen Vernichtungsapparats überlebten. Knapp die Hälfte erklärte sich dazu bereit, den beiden Wissenschaftlerinnen vom Institut für Konfliktforschung Auskunft über ihr Leben vor der Deportation und ihr Überleben während der Internierung im KZ Ravensbrück zu geben; die 1988/99 gesammelten Interviews fanden Eingang in die zweibändige Publikation: „Vom Leben und Überleben“ (Promedia Verlag 2001). Durch eine interdisziplinäre Kooperation mit den Organisatorinnen des „Video Archivs Ravensbrück“ darunter die (Video) Künstlerinnen Bernadette Dewald und Gerda Klingenböck, kommt nun eine Auswahl von sechs Interviews, die Amesberger und Halbmayr mit Zeitzeuginnen führten, unter dem Titel „Vom Leben und Überleben“ ins Kino. Dewald und Klingenböck schachteln die bar jeder Effekthascherei Befragungen ineinander, ordnen und parallelisieren die aussagekräftigen Einzelstatements nach thematischen Kriterien, was strukturelle Ähnlichkeiten aber auch Differenzen offen legt: Manches, wie Herkunft, Bildungsstand, oder die Vorgeschichte ihrer (politischen)Sozialisation mag die „Ravensbrückerinnen“ Antonia Bruha, Regine Chum, Helene Igerc, Rosa Winter, Katharina Thaller und Alosia Hofinger voneineander unterscheiden- Amesberger und Halbmayr versuchen mit ihren Fragestellungen gerade in Forschung und Literatur sonst eher ausgeblendeten sozioökonomischen und gesellschaftspolitischen Aspekten zu beleuchten. So verschieden die einzelnen Schicksale und Werdegänge auch sind: Die Erinnerung an den am eigenen Leib erfahrenen NS-Terror eint diese kleine Gruppe Überlebender, die dazu verdammt war, Tausenden anderen bei ihrem Gang in einen barbarischen Tod zuzusehen.


Profil Nr. 5, 26.1.2004, S. 41
„Abgeklärt“ von Stephan Grissemann

Schlichter ist Kino nicht denkbar: Sechs alte Frauen, sechs Erzählungen, Gesichter und Worte, mehr nicht. Wie viel das aber letztlich ist (und wie viel mehr an Spannung gerade die Abwesenheit verdoppelnder Illustrationen bringen kann), macht dieser dokumentarische Videofilm, das Ergebnis einer langjährigen Oral-History-Recherche zu den Überlebenden des Konzentrationslagers Ravensbrück, deutlich: Die Berichte der sechs Österreicherinnen, denen „Vom Leben und Überleben“ gilt, enthalten schwer Erträgliches und kaum Fassbares, Geschichten von Folter, Denunziation und Mord, aber auch von Solidarität und Überlebenswillen. Die Filmemacherinnen konzentrieren sich auf die kühlen abgeklärten Schilderungen ihrer Heldinnen, verzichten auf Musik, Tränen und Montagetricks. Die formale Zurückhaltung intensiviert den Respekt, der diesen Frauen und ihrem Film gebührt, nur noch.


dieStandard.at | Kultur | Klappe auf für Zeitzeuginnenschaft „Vom Leben und Überleben” zeigen die Erzählungen von sechs Frauen, die das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück überlebt haben. dieStandard.at sprach mit den Filmemacherinnen Bernadette Dewald und Gerda Klingenböck,

„Vom Leben und Überleben”, A-2001, 120 min; Kamera: Bernadette Dewald, Gerda Klingenböck, Tina Leisch; Interviews: Helga Amesberger, Brigitte Halbmayer. Drei Projekte gibt es in Österreich um das Thema Ravensbrück: Wissenschaftlerinnen verfassten eine Studie „Vom Leben und Überleben”, Ausstellungsfrauen erarbeiteten eine Wanderschau und ein Videoprojekt dokumentiert das Leben vor, in und nach dem Frauenkonzentrationslager. Das fünfköpfige Frauenteam des Videoarchivprojekts Ravensbrück sammelte 34 mehrstündige Interviews (über 200 Stunden Zeitzeuginnenschaft) von Überlebenden des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück. Neben dem Videoarchiv entstand auch der 2-stündige Dokumentarfilm „Vom Leben und Überleben”, der die Erzählungen von sechs dieser Zeitzeuginnen umfasst. Antonia Bruha, Widerstandskämpferin und Wiener Tschechin; Regine Chum, Widerstandskämpferin und als sogenannte „Halbjüdin” rassistisch Verfolgte; Katharina Thaller, Zeugin Jehova; Aloisia Hofinger, sie hatte eine Beziehung zu einem polnischen Zwangsarbeiter; Rosa Winter, Sintezza und Helene Igerc, slowenische Bäuerin.
Die Filmemacherinnen Bernadette Dewald und Gerda Klingenböck über das Projekt; Moderation Pia Feichtenschlager:
dieStandard.at: Wie findet mensch die Frauen, die bereit sind, Über diese schrecklichen Erfahrungen zu sprechen, wo wir doch trainiert sind auf das Vergessen und Verdrängen?
Bernadette Dewald: Bei Frauen gibt es ja immer auch das Problem der Namensänderung durch Heirat oder Scheidung. Das war eine Arbeit, die die Wissenschaftlerinnen für uns übernommen haben. Und es war auch höchste Zeit. Viele sind ja seit dem Interview bereits verstorben.
Gerda Klingenböck: Die Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlerinnen war sehr wichtig. Denn die hatten die Adressen der Lagergemeinschaft, denen sie nachgegangen sind und machten Aufrufe in Zeitungen und „Willkommen Österreich”. Daraufhin haben sich viele Frauen gemeldet. Oft haben Enkelkinder gesagt: Oma melde dich doch! Gerade durch „Willkommen Österreich” meldeten sich einige, da das doch viele alte Menschen sehen. Es gab aber auch welche, die als wir dann gekommen sind, verweigerten: „Nein, Angst, will nicht mehr.” Oder: „Erst jetzt kommt ihr, jetzt will ich nicht mehr.” Aber es gab auch Kritik: „Vor einigen Jahren hatte ich noch mehr gewusst, warum kommt ihr so spät.” Es war für viele wichtig, das Erlebte nochmals abzuhandeln vor dem Tod.
dieStandard.at: Aber hemmt nicht die Kamera die Redewilligkeit der Menschen. Gerade bei Älteren, die mit dem Medium nicht so vertraut sind?
B. D.: Im allgemeinen nicht. Manche Frauen waren richtig ungeduldig, wollten sofort erzählen. Es war ihnen sehr wichtig, das alles noch vor dem Tod los zu werden. Meinten: „Was, ihr kommt erst jetzt?” Meine Erfahrung war, dass die Unerfahrenheit mit der Technik – manche wussten zwar theoretisch, sie werden gefilmt, glaubten aber sie werden fotografiert – recht groß war. Wir hatten kleine Kameras, keine großen Dinger, was auch geholfen hat. Wir sind sehr sensibel vorgegangen beim Aufbau für den Dreh.
G. K.: Wir sind uns natürlich sehr störend vorgekommen. Aber uns war von vorhinein bewusst, dass wir ein Störkörper sind: wir sind jedoch sehr behutsam vorgegangen. Die Tatsache, dass wir Frauen sind, hat uns einen Vertrauensvorschuss eingebracht. Wir sind nicht aufgetreten wie das wichtige Kamerateam, sondern haben uns sehr zurück gehalten. Es haben ja auch nicht alle zugestimmt, sich filmen zu lassen, aber doch bemerkenswert viele. Die Gewähnung an die Kamera ging dann eigentlich sehr schnell, manche empfanden sie auch als gewisse Ehre.Die Interviews wurden nach einer speziellen Weise geführt und nicht nach journalistischem Vorbild. Es waren sehr lange, narrative Interviews nach der Methode Rosenthal: Es wurde kaum dazwischen gefragt, keine vorgefertigten Fragen gefragt. Es sind von den Frauen selbst kreierte Lebenserzählungen. Für uns war sehr schnell klar: Wir wollten nicht nur über die Zeit im Konzentrationslager etwas erfahren, sondern auch über die Zeit davor und danach. Wir wollten die Frauen als Personen wissen: Was waren ihre Träume, wie ging das Leben weiter. Normalerweise werden diese Menschen ja auf die KZ-Zeit reduziert, wird auf das spektakulärste Kriegsereignis hingearbeitet.
dieStandard.at: Ein großes Problem bei Dokumentationen ist ja der Schnitt: Es wird gekürzt, geschnitten.
B. D.: Im Prinzip sind es autorisierte Interviews, die dann auch den Personen in der Endfassung vorgelegt wurden und die Möglichkeit des Einspruchs bestand sowohl beim Archiv wie beim Film. Es gab aber im Nachhinein kaum Einspruch. Eher gleich beim Dreh, wo es manchmal hieß: „Das schneidet ihr aber bitte wieder raus!”
Gerda Klingenböck: Wir waren da sehr korrekt: Haben den Frauen die Rohkopien gesendet, mit der Bitte, zu schauen, ob etwas nicht passt. Das Endvideo mit Vorspann und Nachspann, die Transkripte. Ob diese jedoch von allen besichtigt wurden, wissen wir natürlich nicht. Aber es war für die Frauen immer klar, das ist ein Projekt für die Öffentlichkeit.
B. D.: Für den Dokumentarfilm war natürlich die Auswahl der Frauen sehr schwierig. Das hat sehr lange gedauert. Wir wollten Vertreterinnen der verschiedenen Opfergruppen: Widerstandskämpferin, rassistisch Verfolgte, Zeugin Jehovas.
dieStandard.at: Das Projekt war ja sehr zeitintensiv und folglich auch geldintensiv: Wann habt ihr damit begonnen? Gab es finanzielle Förderungen?
B. D.: Die Interviews wurden 1998 begonnen. Nach 1999 wurde dann begonnen, das Videomaterial zu sortieren.
G. K.: Vor 1988 war die Zeit der Geldbeschaffung: Ein großes Problem! Die Kunstabteilung argumentierte:„Das ist keine Kunst, das ist erstens 80er Jahre und zweitens Wissenschaft.” Die Wissenschaft meinte: „Video können wir nicht fördern, da müssen sie zum Film gehen.” Wir haben dann bei den verschiedenen Landesfrauenstellen angesucht, und da kleine Beiträge bekommen.
B. D.: Von der Austria FilmCoop haben wir Geräte zur Verfügung gestellt bekommen. Auch das Archiv ist dort entstanden. Diese Unterstützung war sehr wichtig.
G. K.: Es gab über 200 Stunden Videomaterial. Das wird sehr rasch sehr teuer. Wir haben die Unterstützung einer Frau gehabt, die sich dann um alles Organisatorische in Hinsicht auf mögliche Förderungen gekümmert hat. Wenn man den Nachspann ansieht, da sind die 14 Förderstellen… was das alles an Papier erforderte. Das sieht toll aus, dabei handelt es sich ja um ganz kleine Beträge, 2000 bis 3000 Schilling.
dieStandard.at: Wenn mensch bei so einem historischen Projekt mit einer derartigen Unterstützungsunwilligkeit der wichtigsten Stellen konfrontiert ist, deutet mensch das selbst dann als Ignoranz, oder Desinteresse der Thematik gegenüber?
G. K.: Natürlich. Der Ärger war groß.
B. D.:Ärger und das Gefühl, dass sehr viel Kraft, die eigentlich in das Projekt gehen sollte, für Ansuchen verschwendet wird.Gerda Klingenböck: Wir hatten keine Institution und Lobby, die uns unterstützt hat. Höchstens, dass uns wer ein Empfehlungsschreiben ausstellte. Auch das Unterrichtsministerium hatte kein Interesse an Zusammenarbeit. Wir hatten es auch deshalb so schwer, weil wir die Ersten waren. Es war in Österreich das erste Projekt dieser Art. Zeitgleich hat man zwar gehört, die Shoa Foundation macht in Österreich auf. Aber da gab es noch keine wirkliche Information. Es hieß nur: Die machen etwas über KZ und jüdische Opfer. Uns war wichtig, selber etwas auszuarbeiten. Aber Frauen sind eben keine so „interessante” Opfergruppe und das Lager liegt nicht in Österreich, das hat einiges erschwert.
dieStandard.at: Wo ist das Videoarchiv einzusehen?
G. K.: Eigentlich sollte es auf das Institut für Zeitgeschichte. Das Problem ist aber, dass digitale Archive noch nicht vorhanden sind. Die Lagerung von Videobändern ist ja sehr problematisch. Wir warten noch auf einen geeigneten Ort. Am liebsten wäre uns eine zeitgeschichtliche Erinnerungsstätte, wie das Holocaust-Memorial. Dass internationale Gedenkstätten Editionen ankaufen, da wir das nicht bezahlen können.
B. D.: Zur Zeit lagert es bei der Austria FilmCoop. Es geht ja nicht nur um Lagerung, sondern vor allem um Zugänglichkeit.
dieStandard.at: Das Problem ist ja nicht nur die Noch-nicht-„Öffentlichkeit” des Videoarchivs, sondern auch die Unzugänglichkeit des Dokumentarfilms „Vom überleben”. Am Donnerstag ist er im Filmcasino zu sehen, dann verschwindet er wieder von der Leinwand. Wie sieht es aus mit der Möglichkeit eines Art Wanderkinos durch die Programmkinos in Österreich?
Bernadette Dewald: Wir versuchen einen Verleih zu finden. Video ist eben problematisch: Nicht alle Kinos können Video zeigen.
G. K.: Wir haben bereits die Wiener Programmkinos angesprochen, ob sie die Dokumentation im regulären Programmm zeigen würden. Es wird sich zeigen, ob sie wollen. Es kommt ja auch erschwerend dazu, dass es sich nicht um gefälligen Film handelt. Es wird nichts beschönigt, wir muten den ZuseherInnen auch etwas zu. Es wird vieles gesagt, es gibt keine Musik und keinen versöhnlichen Ausgang. Im Moment ist es so, dass gerade die jüngeren Leute mit dieser Dichte und Intensität und ohne Identifikationsmöglichkeiten nicht viel anfangen können.
B. D.: Was uns sehr wichtig wäre ist, dass die Dokumentation über Österreich hinaus kommt. Wir versuchen Untertitel zu bekommen. Wenn wir den Film im Fernsehen zeigen würden, bekommen wir eine Kinosperre. Das ist auch alles sehr kompliziert. Aber wir hoffen, dass was voran geht.


dieStandard.at/ 3.2.2004
„Weder Kitsch noch Pornographie”
von Ina Freudenschuß
Filmemacherin Gerda Klingenböck im dieStandard.at- Interview: „‚Vom Leben und Überleben‘ soll die Lücke des Zuhörens füllen.

dieStandard.at: In ihrem Film kommen sechs Überlebende des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück zu Wort. Wie haben sie die Auswahl getroffen?
Gerda Klingenböck: Wir wollten eine möglichst breite Fächerung von Gründen zeigen, warum Frauen in jener Zeit Opfer des Nationalsozialismus wurden. Das waren eben nicht nur Widerstandskämpferinnen: Frauen wurden aus vielerlei Gründen und nach Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion mit einiger Willkür deportiert. Wir wollten nach Möglichkeit auch wenig erinnerte Opfergruppen zeigen, wie die ZeugInnen Jehovas oder die ebenfalls rassistisch verfolgten und sehr grausam behandelten Sinti und Roma. Die nationalsozialistische Verhaftungskategorie der sogenannten „Assozialen“ betraf mitunter halt auch Frauen und Mädchen, die mit dem unmenschlichen nationalsozialistischem Regelsystem in Konflikt kamen.Die Leiden der Kärntner SlowenInnen nach dem Anschluss werden bis heute nicht von der österreichischen Gesellschaft wahrgenommen, eher im Gegenteil. Diese Gruppen hatten es nach dem Krieg besonders schwer, denn die Diskriminierung ist nach wie vor, so wie der Antisemitismus, vorhanden.
dieStandard.at: Wie haben sie die Frauen gefunden?
G. K.: Gefunden hat hier zweierlei Bedeutung: Die Wissenschafterinnen recherchierten für die umfassende Dokumentation mittels der Lagergemeinschaft in Archiven und riefen in den Medien (z.B. „Willkommen Österreich“) dazu auf, dass sich Frauen melden sollten, die in Ravensbrück waren. Dem geht aber voraus, dass Frauen der Lagergemeinschaft Ravensbrück schon viel früher auf uns zugekommen sind. Schließlich entstand dieses Projektnetzwerk von Wissenschafterinnen und Filmemacherinnen: Die Soziologinnen Helga Amesberger und Brigitte Halbmayer reichten eine Studie ein, wir, ein Team von vier Filmemacherinnen – Bernadette Dewald, Gundula Daxecker, Tina Leisch und ich – beschlossen ein Video-Archiv und eine Ausstellung („Wege nach Ravensbrück“, Anm.) wurde ebenfalls gemacht.
dieStandard.at: Der Film wurde ja bereits 2001 in den Kinos gezeigt. Was haben sie seither daran verändert?
G. K.: Die Basis des Films sind Archivaufnahmen mit einem wissenschaftlichen Zweck, das heißt, die Aufnahmen wurden nicht für einen Dokumentarfilm gemacht. Im wesentlichen haben wir ihn formal ausgebessert, d.h. störende Bild- und Tonelemente korrigiert usw. Bernadette Dewald und ich mussten außerdem so viele Interviews sichten, dass wir begannen, an Betriebsblindheit zu leiden. Für eine bessere Dramaturgie des Films haben wir uns schließlich eine Supervisorin gesucht, Eva Brunner-Sabo, und Gundula Daxecker hat den Film nochmals geschnitten.
dieStandard.at: Haben sie für sich ein Label für den Film gefunden?
G. K.: Das ist schwierig für mich, weil ich durch die anhaltende Arbeit am Film die Distanz vollkommen verloren habe. Aber mir ist natürlich klar, dass „Vom Leben und Überleben“ sehr schwer genre-mäßig einzuordnen ist. Wir vergleichen uns gerne mit dem Film „Traudl Junge“ von André Heller und Othmar Schmiderer, der auch so eine Hybrid-Form darstellt. Die Erinnerung ist der Film. Das ist für mich eine neuere Art, Erinnerung zu repräsentieren. Jedenfalls war es eine bewusste Entscheidung, den Film aus den Archivaufnahmen zu machen und ihn so ‚essentialistisch‘ zu belassen. Das hängt eben sehr mit dem Thema zusammen. Adorno sagte beispielsweise, dass es schwierig wird, nach Auschwitz Gedichte zu machen, aber er meinte auch, dass dieser Satz wieder von der Erkenntnis gefressen wird. Unsere puristische Ästhetik ist jedenfalls nicht allgemein gültig, nur für uns war sie die einzig mögliche. Wir wollten die Erinnerungen der Frauen sehen und ihre Gesichter und nicht ihre Jugendfotos.
dieStandard.at: Hat der Film ähnlich wie die Ausstellung einen Auftrag?
G. K.: Tja, wir handelten vom Konzept her wirklich wie in einer Art ‚Mission‘. Dadurch, dass diese Appelle an uns herangetragen wurden, wurde uns schnell klar, dass wir mit dem Film die Lücke des ‚Zuhörens‘ füllen wollten. Es ist ja bekannt, dass mit den Erlebnissen im Nationalsozialismus die orale Erinnerungskultur in vielen Familien abgebrochen wurde, d.h. Opfer und TäterInnen schwiegen über die Ereignisse. Durch das langsame Wegscheiden dieser Generation entstand in letzter Zeit zunehmend das Bedürfnis, diesen Menschen noch einmal zuzuhören, etwa zu erfahren. Wir wollten mit dem Film einerseits diese Möglichkeit des ‚Zuhörens‘ schaffen und andererseits die Geschichte von einem anderen Blickwinkel erzählen. Die Erfahrung zeigt, dass die Leute durch den Film wirklich etwas erfahren, was sie vorher ’noch nicht wussten‘. Der Historiker Gerhard Botz hat einmal gemeint, es gäbe so etwas wie das ‚andere Österreich‘, deren Erinnerungskultur nicht so sehr zur Sprache gekommen ist. Diesen ‚Anderen‘ wollten wir eine Stimme geben.
dieStandard.at: Was kritisieren Sie an der gängigen Darstellungsweise des Nationalsozialismus?
G. K.: Wie so viele kritisiere ich die Fernsehformate über den Nationalsozialismus, weil sie ZeitzeugInnen oft nur als Illustration von historischen Fakten heranziehen. Oft ist die Herangehensweise auch nur reißerisch und kitschig. Die Kreation von Idealisierungen und Heldenmythen wollten wir nicht forcieren. Die Autorin Ruth Klüger spricht auch von den zwei großen Vermeidungsstrategien, Kitsch und Pornographie, die verhindern, dass wir bei den Schrecken des Nationalsozialismus genau hinschauen müssen. Weder das eine noch das andere hat uns interessiert.
dieStandard.at: Wie ging es ihnen persönlich bei der Arbeit?
G. K.: Ich muss sagen, die Arbeit hat uns alle sehr mitgenommen und sie forderte wirklich auch eine gewisse Stärke. Wir haben wirklich in Abgründe geblickt, von denen wir vorher gar nicht wussten, dass es sie überhaupt gibt. Was wir uns aber auch gedacht haben: Wenn diese Leute den Mut hatten, zu überleben, dann können wir auch hingehen, und schauen, was da passiert ist. Ich persönlich habe durch den Kontakt mit den Frauen gelernt, meine eigene Familiengeschichte besser einzuordnen.
dieStandard.at: Die Interviews basieren auf der wissenschaftlichen Methode der oral history. Steht diese nicht auch in einer feministischen Tradition?
G. K.: Ich würde sie ebenfalls als eine Methode des Empowerments sehen, die von verschiedensten Gruppen genutzt wurde und wird. Dass die individuelle Geschichte wichtig ist, hat eben auch mit einem politischen Anliegen zu tun, aber nicht nur. Tatsächlich haben auch sehr viele Frauen mit dieser Methode gearbeitet.Die goldene Epoche der oral history war in den 80er-Jahren. Nachher wurde die Methode von den HistorikerInnen eher abgelehnt und von anderen Richtungen aufgenommen, wie zum Beispiel der Ethno-Psychoanalyse, oder der Soziologie. Historisch lässt sie sich als Teil der Mikro-Geschichte einordnen, von der die HistorikerInnen meinen, dass sie die ‚große Geschichte‘ portraitiert und repräsentiert. Tatsächlich ist es so, dass wir über vieles aus dem Kosmos der Konzentrationslager und der Verfolgung nur über die Zeitzeuginnen erfahren konnten, denn viele Spuren wurden von den Nazis sofort vernichtet. Nachdem so viel Erinnerungsarbeit versäumt wurde, entsteht in dieser dramatischen Schwelle des Wegsterbens der ZeitzeugInnen auch ein Kampf um Erinnerung. Oral history hilft das offizielle Geschichtsbild, in dem Frauen wenig Eingang gefunden haben, zu korrigieren.
dieStandard.at: Sind noch weitere Arbeiten mit dem Material geplant?
G. K.: Das Video-Archiv ist ein großer Schatz, der für viele Forschungsfragen nützlich sein kann und ich hoffe, dass es in einer Institution für Forschung und Vermittlung Platz findet. Dazu braucht es allerdings einen professionellen Umgang mit audiovisuellen digitalen Quellen. Aktuell arbeiten die Wissenschaftlerinnen des Projektsnetzwerkes zu sexualisierter Gewalt gegen Frauen im Nationalsozialismus. Es scheint mir auch noch wichtig zu erwähnen, dass es für die Schilderung sexualisierter Gewalt, wie sie in die Interviews einfloss, auch einer gesellschaftlichen Entwicklung bedurfte. Vor 20 Jahren hätten diese Frauen sicher nicht über diesbezügliche Erfahrungen gesprochen. Die Gesellschaft erlaubt Frauen ja erst seit kurzem, sich an solche Dinge zu erinnern, sie als wesentlich zu erachten.
dieStandard.at dankt für das Gespräch!